Hingucken

Mir fällt nur ein Bild ein, das den inneren Drang illustriert, den man entwickelt, einen schönen Menschen anzuschauen: das Jammern des Odysseus, als er an den Sirenen vorbeisegelt. Dasselbe passiert bei extremen Grotesken, dem Elefantenmann, dem enormen Adipösen, Cyrano de Bergerac und anderen.

Und so kann man sich nicht zurückhalten hinzuschauen. Andere sprechen dann despektierlich von Gaffern oder Voyeuren. Ich denke, dass wir selbst dem Antrieb kaum widerstehen können, dorthin zu schauen, wo ein öffentliches Interesse entsteht.

Nicht thematisieren will ich die Anlässe oder die ethischen Schranken des Dranges. Mich interessiert, wieso dieser Zwang zu glotzen so ’natürlich ist‘.

Ist er das? Es gibt Menschen, die keine Notiz von außergewöhnlichen Erscheinungen nehmen. Nehmen wir die Metro in New Yorck City: man vermeidet geradezu den Blick auf andere aus der Angst, man könne Opfer derer Aufmerksamkeit werden. Denn die Erfahrung und die Berichterstattung lehren, dass die Beäugten aggressiv werden können – ähnlich dem Hund, dem man direkt in die Augen schaut. Offenkundig ist dies die Herausforderung zur direkten Auseinandersetzung.

Dennoch schauen wir hin: denn alles Außergewöhnliche zieht uns an; das Normale langweilt uns, da es selbstverständlich ist. Aber schon die Nudel an der Lippe, der Pickel auf der Wange, der Popel am Hemdkragen oder der Spritzer im Haar sind für uns Hingucker.

Blicken wie auf eine große Anzahl von Menschen, so fallen uns die Grossen und die Kleinen auf, die Dicken und Dünnen. Den Durchschnitt übersehen wir. Blicken wir auf die Gruppe in Farbe, dann sehen wir vor allem das Rot, an zweiter Stelle dann andere ungewöhnliche Farben.

Der Mensch ist wohl geeicht, das wahrzunehmen, was jenseits des Bekannten, Gewöhnlichen, Durchschnittlichen und ist. Einerseits dürfte es der eigenen Sicherheit dienen, nicht die Gefahren durch das Fremde zu übersehen. Andererseits und im kompletten Gegensatz dazu ist eben dieses Fremde der Anlass zuerst für Aufmerksamkeit, dann für Faszination, Initiative und Aktion. Das wohl macht uns Mensch so ‚un’gewöhnlich und extra, auch so schwer berechenbar und überraschend. Das Gaffen gehört wohl dazu.

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