Aus meinen Erfahrungen drängt sich auf, dass sich eine Systemlogik oft über den gesunden Menschenverstand hinwegsetzt.
Beispiele finden wir immer wieder, wenn es um die Berichterstattung eines ‚moralischen‘ Skandals handelt. Besonders drastisch ist das Handeln von Nazi-Verbrechern, die angaben, dass sie tun mussten, was sie taten. Auch in anderen Versöhnungskommissionen gibt es immer wieder diese Argumentation – in kurz: hätte ich nicht gehandelt, dann hätten die anderen mich ungebraucht.
So einfach kann es gehen: die anderen und das System entschuldigen mein Handeln. Das Handeln ist erforderlich, da ohne es Pressionen gewirkt und Sanktionen gedroht hätten.
Nun ist es nicht so, dass man immer mit einer existenziellen Bedrohung konfrontiert ist. Oft sind es mildere Sanktionen wie schräges Angucken durch andere, Außenseiterstatus, Konflikt o.a. Es kann aber auch schlicht Lethargie oder Faulheit sein.
Es wird wohl stets eine individuelle Abwägung geben: zwischen dem Mehrwert und den erwarteten Nachteilen. Doch ist der Mensch nicht nur ein homo rationalis, sondern auch ein Wertewesen, das sich für bestimmte Haltungen entschieden hat. Es identifiziert sich darüber, es leitet davon sein Handeln, seine Hobbies, seine Freunde und vor allem seine Urteile ab. Und die können mit dem System – was es auch immer ist – in Konflikt geraten.
Wie es der Mensch schon in der Savanne gelernt hat, kann er fliehen, kämpfen oder in Schockstarre verfallen. Es ist ähnlich dem englischen Sprichwort ‚take it or leave it‘.
Am Ende ist somit eher die Abwägung zwischen Konflikt und seiner Vermeidung.
Blickt man jedoch um sich, sind diejenigen, die für ihre Vorstellungen einstehen, dafür Opfer auf sich nehmen, sich engagieren, immer nur eine kleine Zahl. Diejenigen, die dem ihrem Komfort und dem äußeren Friedens und so weiter verpflichtet sind, machen immer die Mehrheit aus.
Das an sich muss man akzeptieren und einfach hinnehmen. Jedoch sollte man dann auch hinnehmen, dass nur die Menschen dieser Minderheit keine inneren Konflikte haben, mit sich eins sind und glaubwürdig genannt werden können. Die Mehrheit ist es nicht.
Vor diesem Hintergrund können uns Systeme so determinieren, dass wir nur noch die Rädchen sind. Wir sind also fremd bestimmt. Unsere kollektive Moral sagt uns, dass wir selbstbestimmt sein wollen und das auch im Recht fixieren. Die Pflicht daraus negieren wir wortreich.
Systeme sind wie Zwangsjacken – oder besser: Häute, die sich nicht ablegen lassen.