80 Prozent der türkischen Wähler konnten nicht erläutern, was sich mit dem Referendum verfassungsrechtlich ändern würde. Sie haben die Demokratie abgeschafft, eine Diktatur ermöglicht.
Vielleicht ist diese Form der Regierung ja folgerichtig. Denn wer nicht mitdenkt, sollte auch nicht bei demokratischen Wahlen zu Sachfragen mit entscheiden. Man lässt gemeinhin Unkundige auch nicht Expertenentscheidungen treffen. Oder sollte man etwa Kinder die berufliche Entscheidung ihrer Eltern treffen lassen? Und Laien über eine medizinische Operation?
Erdogan wird auch ‚Rais‘ gebannt. Das bedeutet ‚Führer‘. In Schwellenländern gibt es den Fachbegriff der Entwicklungsdiktatur, die in Kauf nimmt, dass demokratische Wahlen hintan gestellt werden, so lange nicht ein gewisses Bildungsniveau erreicht ist.
So weit, so schlecht. Denn auch in unserer deutschen Demokratie sind Wähler mehrheitlich nicht in der Lage, die Essenz der Parteiprogramme wiederzugeben. Wir stimmen nach Hören/Sagen ab, nach Image und traditionellen Positionen der Parteien. Wie wenig wir über die Detaillierung von politischen Antworten wissen, zeigt sich, wenn wir selbst den Wahl o’Mat bedienen. Denn oft zeigen sich in der Summe erstaunliche Ergebnisse: so müsste man eigentlich für eine politische Partei votieren, die man nicht mag.
Mit diesem Referendum jedenfalls ist eindeutig, dass die Türkei einer Kultur angehört, die uns Europäern fremd ist. Aber das könnte man auch von Ungarn und Polen sagen, von denen man nicht mehr weiß, was sie wollen. Und gar die Briten haben eine Entscheidung getroffen, die ihnen wohl mittel- und langfristig Nachteile bringt, aber momentan eine emotionale Befriedigung gibt. Und auch die Italiener haben sich gegen eine Rationalisierung ihrer Verfassungsstrukturen entschieden.
Vielleicht hat die Un-Kultur derzeit Kultur. Doch ist diese Kultur neu, kleinräumig, anti-modern und intolerant. Hoffen wir, dass wie alle unser Bildungsniveau erhöhen.