Wer kennt nicht den Satz des Geistlichen bei einer Bestattung? „Erde zu Erde, Asche zu Asche.“ Es ist geradezu ein Spiegelbild zwischen Geburt / vorwärts und Tod / rückwärts: der Säugling baut Lebensfunktionen auf, der alte Mensch sie ab. Wie der Neugeborene lernt, so verliert der Sterbende seine Fähigkeiten. Ist das erste Wahrnehmen nach der Geburt die Berührung, so bleibt sie es auch vor dem Ableben.
Dieses Bild passt so gar nicht zu unserer Vorstellung einer stetig sich steigernden und verbessernden Linearität. Wir modernen Menschen denken nicht in Kreisläufen, sondern nur in Wachstum / Anstieg / Erfolg usw. Das ist wichtig, weil damit eine Grundausrichtung gemeinsamen sozialen Verständnisses getroffen ist: Menschen können sich darauf verständigen und verlassen, auch wenn sie sich persönlich nicht kennen.
Beispiele sind natürlich der Sport oder die Börsen. Es geht immer um weiter und höher: die Top-Fußballmannschaft muss weiter Erfolge erbringen; sonst wendet sich der Anhänger ab. Die Versicherungen und Börsen müssen Mehrwerte erzeugen. Sonst funktionieren die nicht mehr. Evolution an sich ist Fortschritt und Entwicklung, nicht Rückgang und Verfall.
Signifikant ist, dass wir so viele andere Wendungen in unserer Sprache haben, wie ‚Kommen und Gehen‘, ‚auf und ab‘ usw. Auch Sprichwörter drücken das aus: what goes up, must come down.
Ich will hier nicht über Gedankensysteme, aber sehr wohl über Grundregeln des Denkens schreiben. Denn daraus erwachsen Konsequenzen für den Alltag: betrinkt man sich, so denkt man an den ‚Spaß‘ des Rausches, aber nicht an dieselbe Zeitdauer der schmerzhaften Ernüchterung.
Illustrationen sind: das Kind schreit „schau Mama, was ich kann“; aber wer würde gerne sagen „ich kann das nicht mehr“? Man müht sich, Expertise auszubilden; doch irgendwann zählt die nicht mehr oder kann nicht mehr abgerufen werden.
Konsequenz ist, dass es auch eine Lebensmitte gibt, die man überschreitet. Es ist wie die Mittagszeit, die den Abend einläutet. Es gibt einem Zenit an Leistungsfähigkeit.
Die Parabel gibt uns eine Ahnung über unser Dasein in vollem Bewusstsein des Erwachsenenalters, aber nicht über Anfang oder das Ende. Denn an die Geburt können wir uns nicht erinnern, den Tod können wir uns ebenso wenig vorstellen.
Interessant jedenfalls ist das ‚Ab’rechnen und ‚Ab’zählen der eigenen verbliebenen Lebenszeit. Es wird weniger, quantitativ wie qualitativ!
Für die Jugendlichen gibt es den Jugend- und Erwachsenenroman. Ein Pendant dazu gibt es in der Tristesse der Männerliteratur, von Joseph Roth, Martin Walser und anderen. Aber auch berühmte Filme thematisieren diese Lebensphase, wie Marcelo Mastroiani oder Jeremy Irons. Christian Haller hat ein interessantes Essay dazu geschrieben (Cicero 12/2016, Ich muss nicht mehr!) und selbst daraus ein spannendes Abenteuer beschrieben. Packen wir es an!