Man muss doch ‚mal

Würde es ein Wort des Jahrzehnts geben, käme man an dieser Option nicht vorbei! Es wird täglich, vielleicht minütlich 100.000x benutzt, um zu klagen und ‚die anderen‘ zur Verantwortung zu mahnen.

Es hat nichtmals zum Sprichwort gereicht. Es ist eigentlich der Gedanke des Jahrhunderts, ähnlich wie das ‚Tor des Jahrzehnts‘ der Sportschau. Aber vielleicht wird es ja noch einmal.

Auch das Kabarett greift es nicht auf, was ich komisch finde. Wieso ist es nicht eine vertiefte Behandlung wert? Es ist immerhin voll von Politik. Denn der Wutbürger und der Abgehängte könnten es zum Wahlspruch erheben, ähnlich wie Obama mit ‚yes, we can‘ oder wie Merkel mit ‚wir schaffen das‘.

Das funktioniert übrigens bei dem kleinsten Anlass: Sieh ‚mal! Ein Papierschnipsel auf dem Asphalt. Könnte man denn nicht endlich einmal dafür sorgen, dass das aufhört? Oder der Blechschaden an der Ecke: es muss immer erst etwas passieren, bevor man handelt. Oder die Überflutung des Kellers bei Regen: hätten die denn nicht daran denken können, dass der Gulli bei viel Regen nicht so viel Wasser aufnehmen kann?

Wer ist eigentlich ‚man‘ oder ‚die‘? Es ist der Schrei nach den anderen. Wenn ‚die’ nicht reagieren, müssen es Politik und Staat sein.

Man kann mit dem Satz auch rüde umgehen. Ein Kollege forderte von seinem Vorgesetzten, eine Idee im Interesse der Einrichtung umzusetzen. Der blaffte nur: „man muss nichts – außer sterben!“

Objektiv ist es reichlich bequem, die kleine Störung oder den großen Störfall irgendjemand zuzuweisen, von dem man annimmt, es gebe einen Zuständigen. Dahinter steckt auch die Idee der Daseinsfürsorge durch andere, die Eltern, den Trainer, den Lehrer, die Kommune, den Arbeitgeber oder nicht benannte. Dass für einen gesorgt wird, ist normal. Es muss überall Unterstützung geben.

Nichts auf der Welt ist mehr ohne menschliche Kontrolle. So ist auch alles geregelt. Das zeigt sich schließlich bei Versicherungen und Haftungen: nur noch höhere Umstände gelten als ungedeckt.

Dies führt letztlich zum Unmut und zur Abwehr seiner eignen Verantwortung, Courage und Engagement. Ich muss mich doch nicht darin auch noch einbringen.

Komisch: wir alle wollen mündig sein; entscheiden dürfen; auf unsere Umwelt Einfluss nehmen – aber wir wollen eben nicht müssen, nur dürfen.

 

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