„Warum habt Ihr Euch nicht gewehrt?“

Wann immer menschliches Tun und staatliches Handeln degenerieren und Notlagen jedweder Art hervorrufen, kommt die Klage auf, dass ‚man‘ das hätte verhindern können. Das bezieht sich vor allem auf Unterlassen. So kann eine Ampel nicht gebaut worden sein, oder die Häuser nicht Erdbeben-sicher konstruiert sein.

Kürzlich hörte ich mir gegenüber das ebenso, als eine junge Mutter auf den Wahlsieg von Trump Bezug nahm. Wie werde ich es meinen Kindern erklären können, dass so etwas passiert ist?

Eli Wiesel stellte sich und den Menschen im neuen Staat Israel auch diese Frage. Konnte nicht der Holocaust auch deswegen entstehen, weil sich niemand entschieden gewehrt hat? Die Frage war ein Tabu, da sie die einseitige Identität, Opfer über Menschheitsverbrechers zu sein, zumindest relativierte.

Viele kleine Aktionen des Protestes werden dann erinnert, die symbolisch für den ideellen Widerstand standen, der nur hätte funktionieren können. Da ist die Geschichte von Hans Fallada; da ist der junge Niederländer, der Hitler ermorden wollte; da sind die Geschwister Scholl.

Kürzlich las ich erstmals von einer Sprayerin, die seit einer Generation durch die Stadt zieht, um Graffiti und sonstige Malereien im öffentlichen Raum unkenntlich zu machen. Irmela Mensah-Schramm hat dafür auch schon Preise erhalten. Sie schreibt die Parolen um, in dem sie Buchstaben entfremdet.

„Wer sich nicht wehrt, der lebt verkehrt!“ lautet einer der bekanntesten Slogans der Jugendrevolte in den 1960er Jahren. Eine Bewegung machte sich damals auf, ihrer Eltern-Generation zu zeigen, dass man ‚bestehende gesellschaftliche Verhältnisse‘ auch angreifen und hinterfragen kann – und das mit Humor, Phantasie und Intellekt.

Wieso nur ist es so schwer, sich zu wehren? Wieso kann man nicht freundlich ’nein‘ sagen? Das hat natürlich mit den gefürchteten Folgen zu tun, wenn man vermeintlich Mächtige kritisiert. Das könnte zu persönlichen Sanktionen führen.

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