Wie bequem ist es, einen streitbaren Gegenüber mit dem Vorwurf zu schelten, er dokumentiere bloßes Halbwissen! Wahrscheinlich habe ich das selbst auch schon getan.
Doch ehrlich: zu welchem Thema habe ich Voll-Wissen? Und was bedeutet das denn?
Es wird damit suggeriert, nur dann urteilen zu können, wenn ich alle Kenntnisse eines Sachverhaltes habe. Es wird damit auch impliziert, erst dann Bewertungen vornehmen und Entscheidungen fällen zu können. Die Zuschreibung von Expertise gereicht zur Vorstellung von Wahrheit und Zustimmung.
Der menschliche Kopf urteilt und bewertet aber nie so; der kleinste Hinweis genügt, um ein Urteil zu ‚fällen‘. Und das tut er auch, wenn der Sachverhalt fast zu umfassend ist, um durchdrungen zu werden. Klassisch ist das in unserem Bild von Stammtischen, an denen Meinungen zu Wahrheiten betoniert werden. Selbst Widerlegungen können dann solchen ‚Wahrheiten‘ nichts anhaben.
Dadurch relativiert sich Halbwissen reichlich: denn sprichwörtliches Halbwissen wäre bereits ‚die halbe Strecke‘ zur Wahrheit. Doch bleibt es ein polemisches Benchmark, das nur für eine dialogische Auseinandersetzung eingesetzt wird. Es soll einfach nur denunzieren.
Achten Sie also darauf: wer einen anderen des Halbwissens schilt, dem kommt es nur darauf an abzulenken.
Ein Experte würde sich vermutlich nie mit dem Vorwurf Halbwissen äußern oder erst gar nicht in eine Bewertung über ein Gegenüber einstimmen. Denn er könnte den Wettbewerb um das größere Wissen ja eingehen und würde gewinnen. Die soziale Anerkennung erhielte er durch die demonstrierte Expertise. Also: nur die halben Experten beschimpfen ihr gegenüber mit Halbwissen!