Die Angst vorm Tadel des Vaters

Die Angst des Torwart vorm Elfmeter ist ein witziger Topos, auch ein interessantes Buch von Handke. Im Mittelpunkt der Geschichte steht die Annahme, dass die Ruhe im Sturm und die Gelassenheit zum Erfolg führen: nur der Torhüter, der still hält, hat die Chance, den Ball des Schützen zu fangen.

Kürzlich erlebte ich selbst ein Ereignis, bei dem durch eine logische Kette schließlich Alarm ausgelöst wurde und eine Räumung des Gebäudes erforderlich wurde, da die Polizei dies veranlasst hatte. Am Begin der Kette steht die Online-Bestellung eines Buches, dessen Zusendung als gefährlich eingeschätzt wurde. Es war ein Kinderbuch.

Nun bewerten Menschen Situationen nach ihrem jeweiligen Blickwinkel. Es gibt dann diejenigen, die dankbar für das außergewöhnliche Ereignis sind. Es gibt die, die das Ausfallen von Arbeit ohnehin gut finden. Es gibt die, die dadurch bei einem wichtigen Termin gestört wurden. Und es gibt diejenigen, die froh sind, dass alles gut ausgegangen und nichts passiert ist.

Fraglich ist dann, ob der Auslöser der Kette eine subjektive und objektive Verantwortung trägt. Immerhin wäre das Ereignis ohne den Auslöser nicht passiert. Die berühmte ‚unglückliche Verkettung von Umständen’ sorgt dann schließlich für das ungewünschte Ereignis. Die jeweiligen Kettenglieder jedoch sind immer wieder Bruchstellen für einen sich selbst beschleunigenden Prozess. Es sind immer wieder offene Situationen.

Die Frage nach Verantwortung, Schuld und schlechtem Gewissen kann man hier diskutieren. Es ist eine dieser Fragen, die man sich erst dann stellt, wenn man nahe an Katastrophen war oder sie neben einem geschehen sind. Ein berührendes Beispiel geschah mir selbst, als mich ein Kollege darauf ansprach, dass der Sohn seiner besten Freunde eine Vergewaltigung begangen hatte. Auch fällt mir das Beispiel von Andreas Lubertz ein, dessen Eltern ihren Sohn verloren hatten und für den gewaltsamen Absturz des Flugzeugs durch ihn mitverantwortlich gemacht wurden.

Auch erinnere ich mich der schrecklichen Einzelverantwortungen, die des Fluglotsen, der aufgrund von Überlastung den Zusammenstoß zweier Flugzeuge nahe des Bodensees nicht verhindert hatte. Er wurde vom Vater eines Opfers ermordet. Dann war da noch der Zug in Spanien, der aufgrund zu großer Geschwindigkeit entgleiste. Dies war durch einen telefonierenden Zugführer verursacht worden. Oder der Zusammenstoß zweier Züge in Bad Aibling 2016, als der Fahrdienstleister mit seinen Computer beschäftigt war.

Literarisch ist das in Ödön von Horváth’s ‚Der jüngste Tag’ aufgearbeitet worden. Es ist ein Drama, das ich früh in meinen Leben las, nicht sah. Mich bewegte dabei die innere Verarbeitung des Schuldigen, der damit rang, Schuld auf sich geladen zu haben. Filmisch hat mich kürzlich der Monumentalfilm ‚vier Federn’ beeindruckt, als Heath Ledger seine Schande, nämlich aus Feigheit nicht in den Krieg gezogen zu sein, überkompensiert, um sich zu entlasten.

Ich erinnere mich dieser Tage nur an diese Ereignisse, da sie das Spektakel kennzeichnen vermögen, das dann ausbricht: es beginnt die sog. öffentliche Suche nach dem Schuldigen. Es scheint einem Gesetz gleich zu sein: ein Katastrophe oder ein schlimmer Unfall können nur dadurch verarbeitet werden, dass eine Schuld zugewiesen werden kann. Nur Sühne schafft das Gleichgewicht wieder her.

Wer erinnert sich nicht der Situation in der Kindheit, als eine Vase zu Bruch ging – und man in banger Erwartung vor der Schelte der Eltern unter das Bett oder in den Schrank kroch. Man wollte dann am liebsten einfach nicht mehr das sein.

Und doch: das Kind wird bestraft, um den Verlust der Vase zu sühnen. Die Frage nach der subjektiven Schuld wird dann ignoriert, gegen eines der grundlegenden Rechtsprinzipien ist, das Kinder aufgrund ihrer mangelnden Reife schuldunfähig sind. Die objektive Schuld liegt dann vermutlich eher bei den Eltern, die die Vase dorthin stellten, wo sie schließlich heruntergestoßen wurde. Die Schuld liegt dann bei den Eltern.

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