Wunderliche Menschen

Ich mag wunderliche Menschen: sie sind schräg, sorgen für Überraschungen und provozieren meine Neugierde. Ich möchte dann immer ein wenig verstehen, auch wenn ein logischer Begründungszusammenhang gar nicht vorliegen muss.

Meist werden Menschen wunderlich, wenn sie allein und Außenseiter sind. Sie erfahren keine soziale Kontrolle oder Spiegelung. Daher können Sie ihren Talenten, eigene Vorlieben zu formulieren und treiben zu lassen, nachgeben.

Es mag sein, dass dies von den Wunderlichen eigentlich gar nicht gemocht wird, da sie ihr Schicksal nicht mögen. Vermutlich könnten sie sich gar anderes vorstellen. Doch positiv überwiegt, dass sie in ihrer Wunderlichkeit von der Außenwelt weniger abhängig sind. Sie sind ‚in sich‘ erfüllt. Ihre Welt beherrschen sie wie einen Schatz, den sie selbst gestalten können.

Es ist wie bei Kindern, die ihre Welten in ihrer Phantasie entwickeln, bevor sie sich aufmachen, sich auf die Außenwelt einzulassen. Kinder können komplette Phantasiewelten schaffen, die uns Erwachsene nur erstaunen. Sie können uns faszinieren, da sie schlicht nicht normal sind. Vermutlich sind sie für uns Erwachsene aber auch nicht mehr zugänglich, da wir zu wenig in uns selbst sind.

Die Worte wunderlich oder wundersam deuten auf Wunder. Das bedeutet im Fall wunderlicher Menschen nur, dass ihr Verhalten und Taten wie Wunder erscheinen. Das ist komisch: denn Wunder sind doch positiv besetzt, Wunderlichkeit aber nicht.

Wunderliche Gesellen tauchen in der Literatur auf, da sie das Normale meiden und das Außergewöhnliche hofieren. Über das Normale zu lesen, wäre langweilig. Dafür muss man doch kein Buch in die Hand nehmen!

Doch wunderliche Menschen kauern überall. Sie sind jedoch selten in gesellschaftlichen Zusammenhängen zu finden. Sie sind alleine unterwegs, sie sind für sich.

Ich kann mich an Herrn Sauermann erinnern, der eine kleine Stube eine Etage höher über unserer elterlichen Wohnung bewohnte. Er huschte nur so durch unser Treppenhaus, touchierte wie ein Windhauch unser Leben. Als er starb, war er genauso wenig weg, wie er vorher da war. Er hatte vielleicht nur 5 Meter Luftlinie von unserem jugendlichen Treiben geschlafen. Doch die räumliche Nähe war wie eine endlose soziale Distanz im Weltraum. Niemand wusste etwas von ihm noch interessierte sich für ihn. Als er starb, war es das.

So wenig wir von ihm wussten, so sehr konnten wir ihn vermeintlich einschätzen: ein einsamer alter Mann, ein Trinker, ein einfacher Arbeiter. Ich erbte schließlich eine Kiste aus seinem Hab und Gut, eine Munitionskiste aus dem zweiten Weltkrieg. Noch heute frage ich mich, was dieser Mann wohl an Gedankenwelt hatte.

Jedenfalls empfand ich ihn wie einen Resonanzkörper für das Malen von Geschichten. Zwar träumte ich nicht davon, dass er vielleicht auch ein arabischer Prinz war. Doch sind mir Menschen sympathisch, die ihren Weg lautlos schreiten und sich nicht nur aufdrängen, weil soziale Kontakte nun einmal dazu gehören. Irgendwie sind sie es, die unabhängig, ja ‚cool‘ sind. Sie haben auch den Vorteil, aus der Distanz die Mitmenschen betrachten zu können. Sie haben ihre Welt!

 

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