Dieser verdammte Pflicht, das „Gesicht wahren zu müssen.“ Das hat sicherlich viel Gerechtigkeit, vielleicht noch mehr Ungerechtigkeit in die Welt bugsiert.
Ute Frevert schreibt über den Mann vor der Aufklärung, er sei irrational gewesen. Dessen Verhalten ist jedoch auch nach der Aufklärung weitgehend dasselbe geblieben.
Und im Tierreich begegnen wir ja auch dieser Gesichtswahrung. Aber: dort gibt es auch die finale Geste der Demut. Dann trollt sich der Kontrahent und alles ist gut. Im Tierreich töten sich die Kontrahenten nur dann, wenn es für sie um Existentielles geht, die Rangordnung, das Weib, das Futter.
Also ist der Mensch nicht alleine, wenn es darum geht, den anderen zu vernichten, um sein Gesicht zu wahren.
Was nur ist Ehre, wenn sie tödlich für sich oder eine andere Person sein kann? Ist Ehre Würde? Ist Ehre wichtig? Was bezeugt jemanden Ehre? Ist Ehre ein Wert an sich – oder wird er zugeschrieben?
Ein leiser Eindruck beschleicht mich, dass Ehre ein anthropologisches Muss ist, da sie überall vorkommen zu scheint. Doch ist sie wohl ungeheuerlich wandelbar.
Ich weiß persönlich nicht, wann ich genau meine Ehre verlieren würde. In der Pubertät wäre es vielleicht ein Nacktphoto unter der Dusche gewesen. Später hätte es die eigene Schuld sein können, einem anderen Menschen ein Unglück zuzufügen. Je älter ich werde, desto weniger weiß ich, womit ich so verletzt würde, dass meine Ehre verschwinden würde. Irgendwie mag ich das.