„Wenn jemand keine Kinderstube hat, ist er bei mir unten durch“. Wer kann dem nicht zustimmen? Denn es ist doch unangenehm, wenn „sich jemand nicht benehmen kann.“
Dieses Generalargument – oder gar Selbstverständnis – ist so einsichtig wie die Tatsache, das die Sonne scheint. Aber dennoch: was ist das richtige Benehmen? Gibt es hierfür einen globalen Standard?
Es gibt ihn nicht! Jede Kultur, jedes Land, jede Stadt, jedes Milieu, jeder Kiez, jede Gruppe und jede Familie hat ihr eigenes Konzept. Und nun?
Hat nun jeder Anspruch darauf, dass sich die Umwelt so benimmt, wie das eigene Benehmen es will?
Genauer: um mit Menschen überhaupt in Kontakt zu gelangen, ist eine gemeinsame Basis an Regeln nötig. Dazu zählt sicher auch rudimentäres Benehmen, wie Grüßen, aktives Zuhören oder Ausreden. Wahrscheinlich gibt es so auch eine universelle Sprache von Grundbenehmen.
Noch genauer: wenn nun die rudimentären Voraussetzungen erfüllt werden und dennoch ein ungebührliches Benehmen festgestellt wird, dann ist das wohl den subjektiven Weiten des Betrachters geschuldet.
Und darin entfaltet sich tatsächlich eine riesige Welt von Regeln, die das Benehmen definieren. Die sind teilweise von Eltern und Umgebung entwickelt, teilweise selbst gesetzt. Sie sind gespeichert, als Sätze, aber wohl auch als Ahnungen und Vorlieben. Sicherlich besteht auch eine Rangfolge von sehr wichtigen Bestandteilen und Dingen, die einfach nur angenehm sind.
Absolut und unveränderbar ist Ekel. Denn es handelt sich hierbei um einen der wenigen Instinkte, über die der Mensch noch verfügt. Riecht jemand atemberaubend, so wendet man sich. Aber auch das ist überwindbar, wie Menschen zeigen, die ihre eigenen Fäkalien essen.
Je geringer die Übereinstimmung mit dem Gegenüber, desto größer die Distanz und das Ent-setzen.
Um einer bloßen Ablehnung vorzubeugen, müsste sich der Urteiler bewusst machen, dass anderes Benehmen eben auch ein Recht des anderen ist. Ein Kompromiss wäre möglich, soweit man das ‚andere‘ als ‚ok‘ betrachtet.
Und nun? Es gibt keine absolute und allen einverständige Erklärung. Und so werden wir immer und überall und zu jeder Zeit das mangelnde Benehmen des anderen monieren können.
Es bleibt, sich selbst zu offenbaren, wie die eigene Kinderstube gestaltet war – und was man als Freundlichkeit und Höflichkeit empfindet.