Immer weniger Menschen in Deutschland wissen, was Ostern ist und wieso Ostern gefeiert wird. Angesichts der Bewerbung von Osterprodukten, der man schwerlich entkommt, handelt es für alle sichtbar um bunte Eier und Hasen. In der Familie werden die freien Tage zu Treffen genutzt, bei der Teilnahme von Kleinkindern auch zum Verstecke-Spielen. Es ist schwer, den Dreh zum Ursprung zu finden, wenn die eigene Neugierde fehlt oder man nicht dorthin geleitet wird.
Man kann diese Unkenntnis und die Ignoranz beklagen. Man kann in der typischen Manier des Bildungsbürgers über die Verdummung ‚der anderen’ lamentieren. Man kann als religiöser Mensch ‚glauben’, anschließend mit modernen Missionsformen die Lehre zu streuen. Und man kann es freilich auch belassen, auf die Gefahr hin, dass der einst der Einfluss der christlichen Kirchengemeinschaft verebbt und Ostern als gesetzlicher kirchlicher Feiertag gestrichen wird.
Ein Weg, Ostern mit mehr als der Ostergeschichte zu befüllen oder eine Vorlesung außerhalb hochschulischer Säle zu halten, ist, den Weg so zu malen, dass die Geschichte sowie die Bedeutung von Ostern ein individuelles Bild erhält. Denn die Metapher Ostern ist so vielfältig, dass sie Menschen – ob sie gläubig, Christen oder säkular eingestellt sind – zumindest eine Anregung vermittelt.
Fakt ist: An Ostern feiert eine Weltreligion die Auferstehung ihres Gründers. Zunächst schwer verständlich, da nämlich niemand einfach so wieder aufersteht, wenn er gestorben ist. Doch überwindet dort ein Mensch seine biologische Natur, um von einem Wesen aus Fleisch und Blut zu einer abstrakten Idee und einem Programm zu werden. Ein Mensch wird nur deswegen erinnert, weil er etwas Interessantes zu sagen hatte.
Dieses Programm hat nichts mit der plastischen Gestalt von heutigen Kirchen in unseren Städten, ihren Privilegien oder Skandalen zu tun. Das Programm heißt Frieden, soziales Gewissen und Innehalten. Es ist nicht nur ein modernes Programm, sondern eines – vorstellbar – ewiger Gültigkeit.
Dass Jesus für die Menschen in den Tod gegangen ist, ist ein Trost für den Menschen an sich: es gibt tatsächlich die Idee davon, dass jeder für sich eine Unterstützung erfährt und nicht allein ist. Und dass jemand tatsächlich Leid auf sich nimmt, um anderen Gutes zu tun, ist ein Hinweis darauf, dass dies auch zur menschlichen Natur gehört.
Die konkrete Ostergeschichte zeigt uns aber auch die Gefahr der Auflehnung gegen etablierte Verhältnisse. Zwar mag sie kurzfristig für die Rebellen in die Katastrophe geführt haben, langfristig jedoch haben sie sich durchgesetzt. Also kann man auch gewinnen, ohne sofort Erfolg zu haben.
Und anders gewendet: muss man seine Opponenten gleich kreuzigen? Oder sollte man sich erst einmal in einen Dialog mit Ihnen begeben?
Auch zeigt Ostern uns, dass Engagement zu Veränderung führt. Bloßes Mitmachen – egal auf welcher Seite – lässt uns immer wieder nur Zuschauer und Reagierer auf andere Bewegungen um uns herum sein. Gestalten können wir so nicht. Und selbst das Waschen der Hände – so schön die Symbolik auch ist – ist eben ein Dulden von Wahn und Unvernunft.
Und welcher Natur die Beziehung zu Maria Magdalena auch immer gewesen sein mag, es zeigt doch zweierlei: zum einen gewinnt man Treue und Vertrauen auch unter denjenigen, die nicht offensichtlich zu den seinesgleichen gehören; und gerade die Armen und sonst Ausgestoßenen, also die Marginalisierten, gehören dazu – sie sind die Ehrlichen, Erstaunlichen und Beweglichen in der Masse der Normalität.
Sind diese Lebensthemen etwa verstaubt? Inaktuell? Alle Fragen beantwortet? Haben wir heute einen höheren Zustand als Mensch erreicht? Oder hat es dieses Buch namens Bibel doch etwas, was es verständlich macht, dass man es 2.000 Jahre hindurch gelesen hat?
Die Welt immer wieder neu erfinden, das Jetzt als Höhepunkt der Menschengeschichte zu verstehen, ist nachhaltiger und macht das Leben bunter. Doch auch die alte Welt zu entdecken, ist eben, am Denken so vieler teilzunehmen, die schon da waren und das Heutige vielleicht schon einmal gelebt haben. Ostern könnte ein guter Zeitpunkt am Ende des Winters sein, unter dem Staub ein Schatzkästchen zu finden.