Empörung

Empörung, so las ich, kam in den 1980er auf die Welt. Dann müsste sie eigentlich schon erwachsen sein – ja! Doch Empörung scheint den Menschen zu Kopf zu steigen: es gibt so gut wie nichts mehr, worüber man sich nicht empören könnte.

Früher noch war man misslaunig, dann hat man sich aufgeregt. Heute aber ist man empört. Oder aber: in den 1980er gehörte Coolness zum Zeitgeist, heute ist es die Empörung.

Eigentlich will es jedoch niemand sein, von außen empört zu werden. Man möchte sich schon selbst dafür entscheiden dürfen. Das zeigen diese belustigenden Sprüche, die heutzutage auf vielen Bechern und sonstigen Utensilien sollen stehen: „Bevor ich mich nun empöre, ist es mir schon egal.“ Oder: „eigentlich müsste ich mich gerne empören; aber worüber eigentlich?“

Und man muss Empörung auch demonstrieren, gar inszenieren: alle müssen es mitbekommen. Ich kann mich erinnern, wie in meiner Jugend die Zuschauer wild gestikulierend und schimpfend den Zuschauerraum des Theaters verließen, um gesehen zu werden. Dieses öffentliche Statement machte Eindruck, gehörte zu diesem exklusiven Milieu. Heute jedoch muss jeder und überall die Möglichkeit haben.

Empörung ist einigen Zielgruppen besonders nah, wie den Eltern. Natürlich haben die aufgrund ihres biologischen Alters auch noch wesentlich mehr an Energie, ihrer Empörung Lautstärke und sonstige Verve zu verleihen. Leidtragende sind die Eltern der anderen Kinder und das Schulpersonal.

Empörung richtet sich meist gegen die Politiker; jedenfalls immer gegen andere. Es ist ein wenig der Besserwisser und moralisch überhöhte Klugscheißer, der sich in der Empörung ganz zu Hause fühlt. Aber auch der bigotte Kleinbürger tendiert genau dazu.

Übrigens ist kein Vorgang oder Detail zu klein, Anlass einer Empörung zu werden. Es könnte der Pflasterstein sein, der herausragt: „das ist doch eine Schweinerei!“

Was heißt das eigentlich auf Englisch und Französisch? Immerhin hat der US-amerikanische Schriftsteller Philip Roth 2008 ein Buch dazu vorgelegt. Im Original heißt es indignation. Und die französische Übersetzung ist dieselbe. Das zeigt, dass es einen lateinischen Archetypus gibt. Auf der Seite des Digitalen Wörterbuches der deutschen Sprache zeigt sich, dass dieses Wort lange schon in Gebrauch ist, und meist moralisches Naserümpfen ausmachte: https://www.dwds.de/wb/Indignation.

Seltsam: denn Empörung ist dann doch wie ein lebendig gewordener Pranger, an dem das Schlechtverhalten angezeigt wird. Hat denn das in einer Welt in Liberalität, der Überzeugung größtmöglicher Vielfalt und einem essentiell demokratischen Bürgersinn noch einen Platz?

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