Wer nie geben kann, verliert auch die Fähigkeit zu nehmen

Es gibt Menschen, die nur fordern – und sonst nichts. Sie haben ein ganz eigenes Gefühl für einen Anspruch. Sie gehen davon aus, dass die Umwelt sie bestrafen will. Sie vermuten gar einen höheren Willen, eine Art von konspirativem Geist gegen sie.

Das las ich kürzlich in einem Beitrag über eine Frau, die über 15 Jahre die Rentenbezüge von einem Mann in Anspruch nahm, den sie selbst getötet hatte. Sie wütete nach der Verurteilung, dass ihr das Geld sehr wohl zugestanden hätte.

Vielfach habe ich das auch wahrgenommen, als 2015 die Flüchtlingswelle Deutschland überrollte: es hieß dann, dass Kanzler Kohl ihnen doch etwas versprochen habe – was ihnen andere jetzt wegnehmen wollten.

Doch habe ich das auch im privaten Umfeld mitbekommen, i.e. Mitmenschen, die von ihrem Umfeld etwas, aber auch ihren Lebenserfolg einfordern – und darüber ent-täuschen. Die müssen mir doch helfen.

Gerade bei objektiv Gescheiterten sieht man diese emotionale Muster – frei nach der Logik: „wenn ich scheitere, kann das ja nicht nur an mir liegen; da müssen schon andere mitgespielt haben.“ Und so zeigt sich in sozial prekären Situationen, dass man anderen nicht gönnt, was man selbst für sich beansprucht. Doch ist das wohl nur bei den Gefallenen und Enttäuschten so: denn die traditionell Armen und Vernachlässigten müssen mit ihrer Armut nicht hadern, sie nehmen sie einfach hin. Und dann können sie auch geben, und Gastfreundschaft zeigen. Überhaupt auch frei ihr Haus anbieten – ohne in das Verlangen zu geraten, etwas im Gegenzug fordern zu müssen.

Das ewige Opfer zu sein, ist vermutlich so schwer, ebenso wie eine antisoziale und schwere Straftat begangen zu haben. Zäune und Mauern lassen uns keinen Weg mehr in die Normalität finden, also einen Kontakt zur Mehrheitsgesellschaft. Eine Resozialisierung ist so schwierig wie eine Entgiftung für einen Süchtigen – schließlich ist das Mantra, der zentrale Topos der Erklärung für den jetzigen Zustand des Lebens ein Anker für Weltsicht und Selbstwirksamkeitsgefühl.

Und plötzlich entsteht so eine Art Stolz, die hinter jeder milden Gabe auch eine Bettelei wähnt: ich werde erniedrigt, wenn ich nehme.  Ich will doch keine Almosen!

Das habe ich nie verstanden: denn man mag doch eigentlich Geschenke. Man fühlt sich wie ein Held, wenn man ein Schnäppchen gemacht hat.

Es löst sich wohl mit den Grundgedanken. Denn der Futterneid ist die Grauzone: der zu kurz Gekommene will genau das, was der andere auch hat. Es steht ihm schließlich zu. Doch will er auch nicht bevorteilt werden. Er will einen vermutlich gerechten Kampf um die Beute – wie der auch immer aussieht. Er schließt ein hohes Maß an Gefühle von Gerechtigkeit und Wettbewerb ein.

Am Ende könnte die Geste des Gebens wichtiger sein als das, was gegeben wird – es sei denn, es ist lebenswichtig: dann greift frei nach Brecht nicht mehr die Moral, sondern nur noch das Fressen.

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