Falsche Erinnerung

Als über 50-jähriger ist man ja immer schon ein wenig im Schattenreich der Erinnerung. Also muss man sich gelegentlich ich die Frage stellen, ob man sich eigentlich immer auf seine Erinnerung, die einem das eigene Archiv bereitstellt, verlassen kann. Ist das, was uns die schemenhafte Erinnerung von Dingen, Bezeichnungen und Szenen anbietet, wirklich so gewesen?

Mir geschah kürzlich folgendes: Ich sah einen Krimi von 2017. Und ich wähnte im Verlauf des Filmes, ihn zuvor in Teilen angeschaut zu haben. Ich kannte in meinen Erinnerungen die Charaktere (den Hauptdarsteller und die Konstellation von Figuren; die Örtlichkeit des Geschehens; die miese bis dunkle und aggressive Stimmung usw.). Durch einen der Darsteller fühlte ich mich plötzlich erinnert, dass er der Täter war. In diesem Fall hatte er einen Jungen missbraucht und unwillentlich getötet. Ich erinnerte mich allein an die Szene auf einem Parkplatz, wo sich Kleidungsstücke des vermissten Kindes wiedergefunden hatten. Der Showdown des Filmes war dort gewesen.

Und was passierte? Es war ein anderer Täter, weil es auch ein anderer Film war als den, den ich vermutete, schon gesehen zu haben!

Ich war ziemlich erschrocken. Doch erinnerte ich mich dann der Lektüre von fehlerhaften Erinnerungen, der Problematik von Zeugenaussagen und der grundsätzlichen Konstruktion von Gedächtnis. Tja, ich war herein gefallen, wie ich es gestern hatte. Und es handelte sich nicht um eine self fufilling prophecy.

Wie elend müssen sich dann Menschen fühlen, die an Demenz erkranken und denen zunächst die aktuelle Umwelt und schließlich auch die vertraute vergangene Welt entschwindet. Die nämlich trauen sich dann nicht mehr. Wie auch? Ist das überhaupt wahr, was in meinem Kopf ist? Und kann ich dann überhaupt noch anderen in meiner Gegenwart trauen?

Schlimmer dürfte noch die Ahnung sein, nicht mehr selbstbestimmt und -wirksam durch das Leben gehen zu können. Denn man verliert dann die Kontrolle und somit auch Weltvertrauen. Wehe dem, der sich über Menschen belustigt fühlt, die so erkranken.

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