Ich kann doch nicht jedem etwas geben

Gelegentlich einem Bedürftigen etwas zuzustecken, ist für viele Ehrensache und Pflicht. Dies adressiert vor allem das eigene Gewissen. Denn es ist wohl gleichgültig, wer eine Gabe schließlich bekommt. Hauptsache ist, man hat es gemacht und eine gute Tat begangen – der eingebildete Status des Samariters ist für den Moment gerettet.

Wenn man nun in einer U-Bahn beispielsweise länger unterwegs ist, kann es dem innerstädtisch Reisenden schon unterkommen, mehrmals aktiv angebettelt zu werden. Dann regt sich plötzlich Widerstand: das ist jetzt zu viel; vorhin habe ich doch schon meine Pflicht erfüllt; kann sich denn nicht jemand anderes darum kümmern usw. Es werden die seltsamsten Gedanken provoziert, die jedoch sehr unterschiedlicher Aussage sein können.

Was wohl würde ein Franziskaner tun müssen? Er würde das Bedürfnis des anderen zu seinem ersten Anliegen machen. Es wäre gleichgültig, wie viel da wären: jedem einzelnen gebührte die Zuwendung. Denn genau der Bedürftige ist das Benchmark, nicht das eigene Gewissen.

Dieses Drama vollzieht sich um das Flüchtlingslager Moria auf Lesbos. Dort nämlich gibt es 12.000 bedürftige; die Beobachter nehmen es wahr, Dich wollen sie es nichtig offen und ehrlich zugeben, da sie dann zum Handeln gezwungen wären. Stattdessen muss kosmetisches Handeln herhalten, um das eigene Gesicht zu wahren: den Bedürftigen unter den Bedürftigen wird geholfen; dann wird erklärt, das mehr nicht geht.

Ich sehe das zwischenzeitlich mit größerer Klarheit – und bin dennoch inkonsequent: auch ich gebe nicht jedem Bettler (es gibt keine Synonyme dazu) eine Gabe. Aber ich habe mein Verhalten geändert: ich trage nun immer Münzen mit mir, um überhaupt geben zu können; und um keine Ausflucht zu ermöglichen, nicht zu geben. Meine Entscheidungsfindung ist Gemeinwohl immer noch an einer Kette gereiht: die besonders Bedürftigen bediene ich.

Doch er sind die? Die so aussehen, sich nicht helfen zu können? Die vollständig verwahrlost sind? Die krank und gestört erscheinen? Ich versuche, das zu durchkreuzen: so sehe ich eben auch hinter dem osteuropäischen Trinker auf der Straße einen armen Teufel (und hinter dem Diogenes an meiner Laufstrecke sehe ich eben auch einen Verlierer unserer Umstände.

Eigentlich heißt es richtig: ich kann nicht jedem etwas geben; aber will mehr als einem etwas geben.

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