Ein Zitat zum Start: „Nichts zu verbergen, ist die größte Herausforderung im Leben.“
So sagt es Marina Abramovic in einem Interview des SPIEGEL kürzlich. Sie ist nach einem langen Künstlerleben und auf einem hohen Niveau an Respekt in der Szene unverdächtig, sich zu verbiegen.
Und der enorme Erfolg von Karl Ove Knausgaard zeigt gleichermaßen, was die Menschen bewegt: sie wollen wissen, was den Kern ausmacht. Die Kenntnis des praktischen Lebensumfelds, das Durchleben seiner biologischen Zeitspanne kennt jeder. Doch die Neugierde nach dem Eigentlichen bleibt. Es ist auch die Suche nach den wenigen Gesetzen. Wer will schon daneben stehen?
Schließlich ist auch die Psychoanalyse angetreten, das Feld zu bestellen, das die Saat verspricht: endlich sich wirklich kennen zu lernen. Heino Ferch formuliert es schön als ein Wiener Psychologie-Professor: „wer will nicht einmal in das eigene Dunkel hinabsteigen, wo man noch nie war? Sich mit den eigenen Dämonen auseinandersetzen? Es wird bestimmt nicht langweilig! Es ist eine lange Reise, auf die man sich zu zweit begibt.“
Ist das nicht vielleicht nur radikaler Voyeurismus? Den Schauder, den Thrill zu erleben, der uns selbst daran erinnert, dass wir auch nur Tiere sind – wenn auch sicherlich geistig höher entwickelt als der eigene Hund.
Nun sollte man dieses Gedankenspiel auch führen: kann man es auch gewinnen? Denn was passiert, wenn man mit seiner eigenen Unzulänglichkeit 1 : 1 konfrontiert wir? Will man so mit sich leben? Wird man sich verändern können? Ist es wirklich gut, die Fehler präsent im Bewussten zu haben? Oder hat Freud recht? – einmal transparent gemacht, verschwindet alles.
Ich kenne die Klassifizierung ‚austherapiert‘: das sind die immer aufgeschlossenen Menschen, die keine Tabus mehr zu kennen scheinen. Alles hat sich für sie aufgeklärt. Sie sind allen Gefahren des Lebens irgendwo begegnet. Und so heben sie sich wie Windlichter davon, durch nichts mehr erschüttert werden zu können. So ist es mit den Geheimnissen, die dann entschwinden.