Der normale und seichte Protest ist zwischenzeitlich zum ‚anständigen‘ Dasein avanciert: man wehrt sich kollektiv – und am besten gegen vermeintliche Eingriffe des Staates in die Selbstbestimmung, die eigene Würde und das eigene Wertesystem – und das stets mit Berufung auf eine höhere Bestimmung. Das macht man so.
Es ist dieser Protest mit Samthandschuhen und ohne Gefahr für Leib und Leben. Es ist wie der alte Salonkommunismus, als man gegen die herrschenden Kräfte in verrauchten Kneipen bei viel Bier wetterte. Im gemütlichen und geselligen Salon vor einem sympathisierenden Publikum musste man keine Furcht vor der Repression haben.
Dieser Protest in unseren Breiten ist wie eine ewige Pubertät: man lehnt sich auf und will trotzdem geliebt werden. Man kann sich harte Sanktionen wegen beleidigenden Verhaltens nicht vorstellen. Also macht man weiter.
Es gibt zwischenzeitlich so viele solcher Beispiele, die zu einer Blockade anschwellen. Der letzte augenscheinliche Vorfall ist der Boykott einer Tesla-Ansiedlung in Brandenburg. Dann gibt es Fridays for Future – Aktionen von Kindern und Jugendlichen, die von ihren Eltern anerkennend begleitet werden. Oder nehmen sie die Protestierenden gegen die Windräder (auch ohne Julie Zeh’s Unter Leuten gelesen zu haben).
Wenn es ernst wird, scheinen Überzeugung und Haltung schlagartig überdacht zu werden. Dies hängt zusammen mit den Konsequenzen, also Sanktionen gegen den persönlichen Status: wenn man etwas zu verlieren hat, dann überlegt man es sich dreimal, ob man opponieren kann.
Nehmen Sie die Rolle des Betriebsrates in einem Privatunternehmen: dann nämlich
nicht umsonst gilt der Satz, dass das Betriebsverfassungsrecht und die Straßenverkehrsordnung die Gesetze sind, die am häufigsten gebrochen werden. Man kann sich mit diesem kollektiven und überheblichen Lächeln darauf verständigen, dass diese Betriebsräte ja nur verirrte Geister seine, die eben sonst keine andere Aufmerksamkeit im Leben bekommen würden.
Die Frage ist, ob man die schon ablehnen sollte, die eben Widerstand gegen Sanktionen abwägen. Denn das macht schon der Säugling: er geht so weit, wie er kann. Er ist wahrlich bestrebt, seien Freiräume zu erobern.
Natürlich leben auch immer wieder andere Menschen, die wahrlich mit ihrem Leben und ihrem Schicksal bezahlen. Nelson Mandela ist so einer. Bärbel Bohley ist ein anderer Typ: sie wollte einfach nicht ihre Sache weiterverfolgen, lieber woanders wieder opponieren. Oder Dietrich Bonhöffer: Irgendwie ist der soweit ent-rückt, dass auch wir heute keine Notiz mehr von diesem erstaunlichen Menschen nehmen.
Auch lässt sich Protest zum Prinzip erheben: wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt! Sagten die Kommunarden der 1968er Generation. Und viele von ihnen haben dies bis heute durchgehalten. Auch gibt es Stadtviertel, die einfach als Protesthochburgen gelten: gegen alles Mögliche, was der Verlauf des öffentlichen Lebens hergibt.
Man darf sich indes über Protest keinesfalls lustig machen. Man übt es immer ein bischen. Man kann ihn auch leben. Aber man sollte ihn stets auch zielgerecht einsetzen: Protest des Protestes willen ist ein Wirbel, der einem das eigene Leben verhagelt. Denn man hat nur noch Widerstand im Kopf, nur diesen einen Gedanken, der alles trägt – wie ein-seitig!