Die öffentliche Meinung ist bemüht, dass jegliches Handeln der sog. Politik in der Matrix von Political Correctness gemessen wird. Mir ist nicht richtig klar, welcher Kompass sonst der richtige wäre. Ich vermute dahinter den Begriff der Realpolitik: man muss schließlich versuchen, die Umwelt nicht nur mit einer fixen Matrix zu verstehen.
Es wird auch von der Sozialdemokratisierung der großen parteipolitischen Linien gesprochen. Die ‚Konservativen‘ beschweren sich, dass sie zusehends an den Rand gedrängt werden.
Hermann Lübbe hat 1984 einen Beitrag geschrieben, der den Absolutismus und die fachliche Ignoranz der sog. Moralpolitik verdammt. Überzeugend erklärt er, dass die Beziehung der eigenen Argumentation auf die Moral jegliche fachliche Diskussion zugunsten des Moralisten entscheiden wird. Schlimmer noch ist: sie löst die fachlichen Probleme nicht.
Ein gutes Beispiel könnte die Dimension von Frauen, Migranten oder Behinderten sein. Wer ein Problem aufwirft, ist per se (nein, wegen seiner vermeintlichen moralischen Lage) schuldig und im Unrecht. Sehr eindrücklich wird dies bei gelichtet Kritik gegen Israel: sie ist verboten, weil es die Juden verhöhnen könnte. Das krasse Vorgehen gegen die Palästinenser wird somit mit höherer Moral gerechtfertigt.
Wolf Biermann hat stets von der Auschwitz-Keule gesprochen. Er meinte damit das provozierte Ende jeglicher politischen Debatte: weil ich ein Alt-Opfer von Auschwitz bin, habe ich immer recht – basta?!
Auch wenn das alles politisch klingt, so kennen wir doch dieses Muster auch aus normalen sozialen Interaktionen nur allzu gut. Denn auch dort hat der schwächere immer recht, der Kranke, der Alte, das Kind, die Frau usw.
Meines Erachtens ist es vor allem gedankliche Faulheit und Bequemlichkeit, die Moralisten ausmacht: die Welt instinktiv Gut und Böse einteilen, wie in einer Dorfkirche des Mittelalters. Und schon damals war klar: wer gut und böse definiert, hat die Macht. Er ist derjenige, der sich auf die letzte Instanz, nämlich Gott, beziehen kann. Er behauptet es einfach.
Moralpolitik ist daher auch zutiefst un-sachlich. Es ist eine Einladung vor allem zum eigenen Narzissmus: ich bin auf der Seite der Richtigen und Guten: die anderen sind doof. Und so kann man sich mit einem guten Gefühl zurücklehnen – zumindest für den Moment.