Die Stammtische habe ich im Ohr, wenn ich daran denke, was mir meine letzten verbliebenen sozialen Kontakte so alles mitteilen: ‚es sei so und so‘. Es würde so und so.
Tatsächlich bäumt sich plötzlich eine Welle von Personen auf, die Wichtiges zu sagen haben. Es scheint in Zeiten der Krise zu größeren Einsichten und zum Nachdenken zu kommen, daher auch das öffentliche Verlautbaren. Tja, wenn man zu Hause in der Stille sitzt, dann ließe sich tatsächlich der ein oder andere Gedanke gründlich vertiefen, ohne gestört zu werden.
So will jeder die Bedeutung des nicht Normalen mit einer höheren Bedeutung versehen, dann gar erläutern. Die Welt wird des Anders-seins muss ja irgendwie greifbar und für alle verstehbar gemacht werden. Vor allem geistliche und säkulare Denker machen sich auf, der Krise eine Bedeutung, ja einen höheren Sinn zu verleihen: „die Zeit nach der Krise könnte eine bessere sein!“
Dem gegenüber könnte man erwidern, dass eben auch ganz rational mit dieser Pandemie umgegangen werden kann. Es ist keine existentielle Krise für die Menschheit, sondern nur eine verdammte biologische Seuche. Und das sieht dann eben genauso so aus, wie es gerade ist. Schön war hier das Interview mit Bill Gates, der den Sachverhalt erklärte, ohne in das Vokabular der Evangelikalen zu verfallen.
Zurück zur Welterklärung: es werden große Gedanken formuliert. Das ist wie das Offenlegen des Innersten, wenn man stirbt. Diese betroffenen Tagebücher kennen wir beispielsweise von Hermsdorf oder Schlingensief.
Und zwischenzeitlich gibt es auch eine Gegenbewegung, die sich zart an diese ‚bedeutungsschwangere‘ Pathetik heranmacht. Der Spiegel zitierte die Autorin Spinney: „es scheint momentan fast so, als erzählte unser Leben.“ Und das ist eher zweifelnd gemeint.
Und gleichzeitig erheben sich die Weltverschwörungstheoretiker von ihren Couches: es sind die Juden; es handelt sich um eine Strafe Gottes. Es paart sich mit dem Klimawandel und den Heuschreckenplagen in Ostafrika. Doch: alles hat Erklärungen. Und an allen Krisen ist der Mensch maßgeblich beteiligt. Wir tragen dafür Verantwortung, haben uns also schuldig gemacht.