Die Corona-Beschallung der letzten Wochen hat so etwas wie einen emotionalen Overload hinterlassen, den man wohl mit zunehmender Gleichgültigkeit quittieren wird. Die Erfurter Forscherin Betsch nennt das disaster fatigue.
Es war das Arsenal emotionalisierter Beschreibung und damit auch Wertung, das auf uns einströmte und uns erfasste. Man konnte sich nicht erwehren. Denn jede Ecke des Lebens wurde mit Corona gespiegelt, ob es der Zoo oder die Ernährung war. Und die Worte wurden von den Journalisten, den Monopolisten unter den Erklärern und Berichterstattern so wiedergegeben, dass der Zuhörer glauben musste, das Ende stehe unmittelbar bevor.
Die Lage ist dramatisch;
Die Systeme kollabieren;
Die Helden kämpfen bis zur Erschöpfung;
Die Kliniken sind dem Zusammenbruch nahe;
Die Stimmung kippt;
Das Personal ist an der Belastungsgrenze …
Gleichzeitig wurden heldische Topoi in die Berichterstattung geworfen: Sie arbeiten mit Hochdruck; und unermüdlich; Tag und Nacht; ohne ihre Familien zu sehen; ohne Rücksicht auf sich selbst; und das auch noch zu geringen Gehältern. Es ist wohl die Begleiterscheinung jeder Krise, dass neue Helden geboren werden – auch wenn sie ausschließlich ihren normalen Dienst tun, für den sie vergütet werden.
Bei alledem herrscht Schockstarre statt des Impulses zum Widerstehen. Aber das mag auch normal sein, wenn ein Virus der Feind ist.
Martenstein macht sich in seiner Kolumne lustig über die ständigen Kreuzungen von Corona und Thema x; jede Nische des Lebens wird mit Corona in Verbindung gebracht und zu einer neue story ausgebaut. Alle Kombinationen werden gebildet. Der Leser ermüdet. Doch die Journaille denkt, dass sie das tun muss.
Man muss sich allerdings fragen, was das mit der Stimmung der Menschen macht. Werden sie nicht hin und her geschüttelt, zwischen Ermutigung und Depression?
Schließlich wird die Stimmung durch seltsame Umfragen ermittelt: Macht die Regierung genug? Haben Sie Angst, sich anzustecken?
Hat diese ständige Empörung damit zu tun, dass die Medien ihre Leser nicht mehr anders erreichen? Ist es das augenfälligste Merkmal, was unsere Zeitalter der Empörung ausmacht? Die jüngeren Leute antworten nur noch ‚da nicht für‘, ‚ist schon ok‘ usw. Als ob auf einmal nur noch Hanseaten in uns wohnten! Vielleicht kann dann eine Presse auch gar nicht mehr anders!
Die schrillen Töne werden wieder gesellschaftsfähig. Das Denkbare wird wieder ausgesprochen; man muss sich sprichwörtlich für gar nichts mehr schämen.
Ein ständiger Ausnahmemodus wird dadurch zur neuen Normalität. Es ist wie mit den blinkenden und summenden elektronischen Medien um uns: sie verursachen ständige neue Aktionen, die man wie ein Süchtiger ausführt. Wer kann schon sein Handy einfach nur unbeobachtet liegen lassen, wenn es gerade die Ankunft einer neuen Nachricht verkündet hat? Der Cortisol-Spiegel ist sicherlich gesellschaftsweit so hoch wie bei dem Ausbruch eines Krieges in früheren Zeiten.