Es gibt eine Debatte darüber, dass Menschen sich immer mehr als Opfer fühlen. Für mich selbst könnten ich solche Dinge auch anführen; ich gehöre zu eben diesem geburtenstärksten Jahrgang, der nur Konkurrenz und knappe Gelegenheiten zur Folge hatte; ich bin zwischenzeitlich einer dieser alten angegrauten und fast schon weißhaarigen Männer, der für alles Unwohl des gesellschaftlichen Status Quo verantwortlich gemacht wird (s.a. die Autorin Plassmann).
Nun ziehen aber in diesem Wettbewerb um die öffentliche Aufmerksamkeit ganz andere Gruppen vorbei. Es ist wie ein Ranking der Bedürftigkeit, ja eine Ligatabelle des Mitleids. Immer mehr Menschen sehen sich irgendeiner Gruppe zugehörig, die benachteiligt ist. Galt früher noch die Stärke als ein Orientierungsmarker, so ist heute die vermeintliche Schwäche schick geworfen.
Es ist eine Art der Mystifizierung der underdogs. Dieser hat sich in der Geschichte meist die politische Linke nutzbar gemacht, indem sie ihren logischen Strang zu Ende dachte, nämlich zu wenig vom kollektiven Wohlstand zu bekommen. Es ist aber ohnehin ein durchgängiges Motiv für die Identitätsbildung, indem man sich auf Märtyrer berufen kann. Es geht um das Joch, das es abzuschütteln gilt.
Was früher das Aufbegehren gegen Unterwerfung war, ist heute das Winseln um Ausgleich. Es ist wie der Hund, der sich Futter erbettelt, das Kind, das die Süßigkeiten will, oder der Bettler, der um eine Gabe bittet.
So scheinen viele öffentliche Anliegen einem Muster zu folgen, das schon immer Teil sozialen Verhaltens war: auf die Solidarität der anderen zu setzen. Die have not‘s wollen den Gleichstand mit den have‘s.
Und zu welchen Opfern gehören Sie?