Seinen Vorteil suchen

In unserer protestantisch geprägten Kultur ist es verpönt, sich ‚auf Kosten anderer‘ zu bereichern. Diese Haltung weist aber auf ein gesamt-christliches Gebot genauso hin wie auf Wertekonzeptionen vieler anderer Religionen.

Religionen haben einen entscheidenden Schritt zum modernen humanitären Gemeinwesen gemeistert: Gerechtigkeit ist Gleichgewicht der Mittel. Das bedeutet auch Fairness.

Viele konsequente Folgerungen sind daraus erwachsen: Frauen schlägt man nicht; Behinderte diskriminiert man nicht; Kinder sind die ersten, die bei Notfällen gerettet werden; usw.

Doch ist da auch menschlicher Ehrgeiz, die Lust am Wettbewerb, die Hoffnung auf soziale Anerkennung durch gesellschaftlichen Status und andere grundsätzliche Antriebe. Die provozieren den Menschen, sich auch gegen Mitmenschen beim Erlangen persönlicher Ziele und Wünsche durchzusetzen.

Die Versöhnung der beiden Erfordernisse ist so etwas wie die soziale Marktwirtschaft.

Und doch gibt es immer wieder die Grenze, die definiert sein will. Denn nicht immer taugt das eine oder das andere als Begründung, wie man sich selbst verhält.

Wie andere schaue ich mit Verachtung auf den sozialen Schmarotzer. Er oder sie ist der- oder diejenige, die mit heimlichen Mitteln ‚unlauter‘ für eigene Vorteile kämpft, die bei anderen zu Nachteilen führt. Sprichwörtlich ist der, der immer seinen Vorteil sucht. Er ist bei allem, was irgendwie geteilt wird, getrieben, sich einen großen Teil zu schnappen.

Nun muss man dieses Verhalten erst einmal verstehen. Es stellt sich dann die Frage, ob solches Handeln überhaupt freiwillig gewählt ist.

Ich erinnere mich an einen Kommilitonen, der bei einer Exkursion einmal gestand, dass er von Kindheit zum Futterneid getrieben worden sei: er sei der jüngste von vier Brüdern gewesen und immer als letzter versorgt worden. Das habe aus ihm einen eigensüchtigen Menschen – vor allem zu Tisch – gemacht. Vermutlich würde er gar zugreifen, auch wenn er keinen Hunger hätte.

Ich meine aber eher denjenigen, der sein asoziales Verhalten mit dem allgemeinem Fehlverhalten begründet oder besser entschuldigt: das macht doch jeder; sonst kommt man zu nichts; man muss nicht päpstlicher als der Papst sein u.a.

Es kann soweit gehen, dass man Häme über den ausschüttet, der selbst nicht in der Lage ist, gleichsam zu handeln: „ist der bescheuert, dass er da nicht zugreift! Dann ist er auch selbst an seiner Lage schuld.“

Es gibt diesen schleichenden Übergang zum Widerling, zum ranzigen Menschen, der stolz auf die Durchsetzung persönlicher Vorteile ist. Er zieht daraus Selbstvertrauen und Stolz. Schließlich ist er durch und durch darauf programmiert.

Nun ließe sich einwenden, anthropologisch sei der Mensch auf Überleben gepolt. Selbst Müttern wird nachgewiesen, im Notfall ihre Kinder zurückzulassen. Das zeigen Studien von Flugzeugkatastrophen. Solch’ ein Trieb könnte richtungsweisend sein.

Und doch: Gewinnler und Schmarotzer sind und bleiben jenseits dieser Grenze, die für ein solidarisches Zusammenleben erträglich ist. Dies ist nicht verhandelbar.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert