Meinungsbildung in der Blase

Eine Kollegin erzählte mir, dass sie Kommentare in den sozialen Medien für einen Vorteil hält: wenn eine News über die Medien ginge, könnte sie die besser einschätzen, wenn andere Menschen sie kommentieren würden.

Sofort dachte ich abschätzig, dass das nur und ausschließlich ein Beweis für die Faulheit am Denken ist. Denn ohne Versuch einer eigenen Reflektion und dem Eifer, etwas verstehen und somit einschätzen zu können, ergibt man sich nur in die Abhängigkeit der Meinungen anderer – woher die auch immer kommen. Diese Kollegin könnte sich doch selbst schlau machen, um abzuwägen, was wahr ist und wie man es beurteilen könnte.

Damit mache ich es mir aber auch leicht, da ich nämlich selbst zwei Optionen bei Sachverhalten habe, die ich gerne irgendwie einschätzen würde: zum einen könnte ich die Journaille heranziehen oder gar selbst recherchieren, um selbst irgendwie urteilen zu können. Andererseits könnte ich einfach nur aufgeben und mich irgendeinem Urteil anhängen. Ergo: auch ich bin abhängig von Kommentierungen – aber eben von solchen, von denen ich annehme, dass sie begründet und recherchiert sind.

Und dennoch: wenn ich mir eine Meinung oder besser eine Ahnung davon bilden will, was ein körperliches Unwohlsein oder eine Auffälligkeit ausmacht, dann kann auch ich im Netz recherchieren. Im Internet gibt es eine Reihe dieser Gesundheitsforen. Dort kann man die Beobachtung an seinem Körper posten – und plötzlich bekommt man von allen Seiten Rat. Dann kann man in die Welt der Laien eintauchen – oder auch nicht.

Immerhin haben Selbsthilfegruppen das Image, hilfreich zu sein. Denn die Betroffenen wissen, worauf es ankommt. Experten sind nicht dabei, dafür die Opfer.

Auch die Suche nach einem Dienstleister in der Nähe des Wohnortes ist so schnell ausgemacht, sei es ein Handwerker, ein Arzt oder ein passendes Hotel für die Freunde: Jameda weiß Rat.

Zentral ist wohl die Frage, inwieweit man sich Meinungen bilden kann oder nur bestehende / widerstreitende Meinungen übernehmen will. Es ist die Frage des Könnens und des Wollens: kann ich das? Gelange ich überhaupt zu einer persönlichen Meinung? Weiß ich, wie das geht? Traue ich mir das zu? Wozu überhaupt? Und es ist eine Frage von Haltung und Überzeugung: wozu soll ich mir überhaupt eine unabhängige Meinung bilden? Muss ich mich dann nicht streiten? Lebe ich nicht besser, wenn ich mich einer Meinung anschließe?

Es offenbart sich hier beim Nachdenken ein Zug unter den Menschen, der mit unserem Bild vom reflektierten, abwägenden, reifen und unabhängigen Bürger in einer freien und pluralen Gesellschaft nicht übereinstimmt, ja nicht sein darf. Es ist nicht vorgesehen, einfach Herdentier zu sein. Man muss ein einsames Steppenpferd sein.

Also ist das nicht für jeden etwas, auch wenn die gesellschaftliche Norm anders lauten sollte. Dennoch sollte sich jeder im Klaren sein, ob man einfach nur ‚follower‘ sein sollte, nur ein Geist, der anderen Recht gibt oder eben nicht.

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