Wann gab es schon einmal eine Zeit, in der Verjüngung ein absoluter Wert war? Es ist eigentlich gleichgültig, wohin man schaut. In der Mode, im Sport, im Beruf – überall muss man möglichst jung sein. Gewissermaßen stimmt es, dass wir einem Jugendwahn unterliegen.
Gerade in der Politik und auf dem Arbeitsmarkt setzt sich das durch: Hauptsache jung – dann klappt es schon. Es wird irgendwie anders, aber sehr wahrscheinlich besser. Im Kern soll wohl Jugend Qualität garantieren. Dazu gehören Kreativität, Mut, Neugierde und so viele anderer persönlichen Eigenschaften, die man dem Alter nicht zutraut.
Gemessen an der Menschheitsgeschichte ist ‚jung’ natürlich ein relativer Begriff. Denn was heute jung ist, war vor 1000en von Jahren schon alt. Wer heute 40 ist, war im Neolithikum schon tot. Der Stammvater Abraham ist einer der wenigen überlieferten Alten seiner Zeit.
Aber in absoluten Jahreszahlen lässt sich das Alt-Jung-Schema ohnehin nicht werten. Denn es geht um die Relation zur jeweiligen sozialen Umgebung. So sind auch heute die jungen Alten ein Phänomen, das es in der Menschheitsgeschichte wohl nie gab. Gerade Ältere sind sehr verschieden in ihrem Altsein.
Funktionell liegt der Platz des Alters in Stammesgemeinschaften an der Spitze der sozialen Hierarchie. Denn stets ging das Kollektiv davon aus, dass Alter Erfahrung, Überblickswissen und Reflektion mitbringt und somit bestens für Führung und Weisung geeignet ist. Das wird auch untermauert durch psychologische Forschung, die – gerade in der Entscheidungstheorie – im Alter reifere und umsichtigere Entscheidungen feststellt.
Das hat sich auch in modernen Gesellschaften gehalten. Die überwiegende Mehrheit von Entscheidungsträgern ist 50+. Es herrscht grau und weiß, die Brille, der Ansatz zum und der veritable Bauch, die Selbstsicherheit, der gewählte Ausdruck und alles, was sie sonst noch kennzeichnet. Sie sind in Wirtschaftsmagazinen wie in Tageszeitungen immer in der ersten Reihe.
Heute jedoch tritt ein neuer Typ in die mediale Öffentlichkeit, der früher eher beargwöhnt wurde. Es ist der Sportler, der Jungunternehmer oder besser Geschäftsführer eines Start up‘s, der Umweltschützer oder der soziale Aktivist. Sie besetzen im Boulevard ohnehin die Titelblätter, sind aber auch in der breiteren Unterhaltung wie TV oder Magazinen die auffälligste Gruppe geworden.
Ich komme nicht umhin zu folgern, dass sich die breite Öffentlichkeit an diese anderen Prominenten gewöhnt. Ihnen wird Leistung unterstellt. Sie übernehmen auch Positionen in der Gesellschaft, die zwar neu sind, aber dennoch eine gewisse Funktionselite ausmachen. Und so wird die Distanz zur Schlussfolgerung immer kleiner, diesen auch eine Führung in politischen und wirtschaftlichen Fragen zuzutrauen – was übrigens in Kultur und Wissenschaft ohnehin gelingt.
Und so scheint auch in der Politik die Glaubwürdigkeit zu reifen, dass die Kläger an die Macht sollen. Es hat etwas von diesem Fanal, das mit der Studentenrevolte in den 1960ern erleuchtete. Nur, es gibt kein attraktives Gegenszenario zum Status Quo. Es wird schlicht gesagt: wir brauchen einen Neuanfang; es darf kein ‚weiter so‘ geben; alle wollen Erneuerung.
Diese Diffamierung des Status Quo ohne Konzept ist seltsam. Auch die Medien unterstützen es, indem sie den Wortführern ausreichend Sendeplätze einräumen und Zitate zu Schlagzeilen machen. Gerade in der Politik ist dies geradezu grotesk: ein Kanzler-Kritiker ruft die konservative Revolution aus gemeinsam mit einem isolierten Jungminister für Verkehr. Die Jugendorganisationen feiern sich mit der Demontage der Parteiführungen – ohne Programm!
Als Beobachter und denkender Mensch muss man aufpassen, nicht einfach nachzuplappern, was da wie ein Programm herkommt. Sonst hat man wohl nicht nachgedacht.