Am Heiligabend waren wir wie so viele das einzige Mal in diesem Jahr in der Kirche. Man macht das eben so.
Es ist amüsant, diese gehemmten Bewegungen von Menschen zu sehen, denen der Rahmen fremd ist und die Regeln unbekannt. Ich selbst versuche mich ebenso hilflos am Verhalten der anderen zu orientieren. In kurzen Fenstern fühlt es sich so an, als ob ich dem Gottesdienst einer mir fremden Religion beiwohnen würde.
Vertraut sind mir die Weihnachtsgeschichte, der Aufbau des gesamten Gottesdienstes, das Vater Unser und das ein oder andere Lied. Auch weiß ich, dass die Predigt etwas wie eine kollektive Ermahnung sein soll, ‚den Pfad der christlichen Tugend zu gehen‘. Meist kommt Sie modern daher, indem sie kurz aktuelle Trends aufgreift und auf politische Ereignisse Bezug nimmt.
Am Heiligenabend war dies anders – und doch so wie immer. Vielleicht habe ich mich auch verändert. Denn ich gehe bewusst in die Kirche, weniger als dieser gläubiger Christ denn als Bürger, der das Christentum als Wertesystem schätzt, Kirchen als Orientierungspunkte der städtischen Umwelt begreift und nicht zu denen gehört ‚auszutreten‘, weil es preiswerter ist. Diese Kirche als manifestes Zeugnis, sich Menschen zugewandt und gerecht gegenüber zu benehmen, ist mir das Wert.
Dieser Kirchgang war ein Ärgernis. Denn die Chance auf so vieles wurde vertan im säuerlichen protestantischen Ton. Es war eben kein ‚Fest‘, das die Geburt Jesu als Symbol für eine gerechte Gesellschaft mit Hoffnung und Zuversicht feiert. Es war eben nur diese Mahnung zum Leben, wie es das Ritual vorgibt. Der Ton ist durch und durch der von Trauer, Besserwissen und Ritual. Das hat nichts mit Fest und Freude zu tun!
Nun denke ich an die jüngeren Menschen, die sich nicht mittels elterlichen Auftrags und Wunsch der Kirche und später dem sogenannten Glauben nähern. Ich denke an die jungen Menschen, die während ihrer Pubertät mit der Suche nach einem geeigneten Szenario für Ihr Leben beschäftigt
sind. Was sollen sie eigentlich von diesem erbärmlichen, unbarmherzig befehlenden und erhabenen Ton denken? Was fühlen sie dabei?
Dann fällt mir dabei ein, was die Medien derzeit berichten: von Jugendlichen, die sich für ein Bild begeistern, was ‚Tod den Ungläubigen‘ heißt. Wenn ich entscheiden müsste, wäre mir alles andere näher als diese seelenlose ritualisierte Belehrung dieses Gottesdienstes.
Auch Erwachsene möchten in ihrem Alltag berührt werden. Natürlich ist die Kirche kein klassischer öffentlicher Dienstleister wie ein Bürgeramt. Dass aber Kirche auch die Funktion hat, sich der spirituellen Bedürfnis der Gemeindemitglieder anzunehmen ist auch evident.
Kirche konkurriert mit den besten Freunden eines Menschen, mit dem Mentor /
Coach oder den Medien für eine persönliche Orientierung in dieser Welt, die eben nicht mehr die ist, dass jeder Tag so wie der andere ist. Es wäre schön, wenn sie diese soziale Funktion einnehmen könnte. Wir Menschen wiederum können auch im privaten Umfeld ein wenig Kirche sein, um ihre Grundwerte auch ohne Ermahnung zu leben.