An der Sprache erkennt man Denkmuster. Somit lassen sich zentrale Werte einer Sprach- und somit auch einer Nationalkultur finden. Sie können ganz wesentlich zum Verständnis beitragen, wie ein Volk tickt.
Im Deutschen gibt es so viele Hinweise auf diese Mischung aus protestantischer und preußischer Tugendlehre, die um zentrale Begriffe von Arbeitsamkeit, Anständigkeit und Rechtsamkeit kreisen. In Breslau sah ich auf einem Friedhof mit Gräbern aus dem 19. Jahrhundert den Namen ‚Dienstfertig‘. Das passt!
Mit zentralen Begriffen werden Maßstäbe zur Bewertung von Sachverhalten und Menschen von Generation zu Generation übertragen. Sicherlich ändert sich die jeweilige Bedeutsamkeit über die Zeit. Doch im Kern erleiden diese Werte keinen Bedeutungsverlust.
Zur Illustration kann die Bewertung der Leistung eines Theaterschauspielers gereichen: die war in Ordnung! Eine Leistung mit dieser Kategorie zu beschreiben, heißt, das bloße Agieren zu respektieren. Da hat sich jemand angestrengt und an die Regeln des Schauspiels gehalten. Ausdruckskraft und individuelle Stärken, das eigentliche Momentum der Schauspielkunst, blieben so sekundär.
Das Benchmark ‚perfekt‘ ist aus den Sätzen ‚er spricht deutsch perfekt‘ oder ‚die Maschine läuft perfekt‘ geläufig. Die Zielsetzung ist klar: keine Fehler; im Plan; unter Kontrolle. Der Anspruch an die Umwelt, der aus dieser Haltung erwächst, ist enorm: Fehler ausgeschlossen. Man vergleiche dies mit der kolportierten Einstellung von Südamerikanern oder Südeuropäern: Hauptsache, es läuft irgendwie. Und so geht man dann auch mit den Schwächen seiner Umwelt, vor allem seiner Mitmenschen um: es ist eben dramatisch, wenn er zu spät kommt oder ungenügend Geige spielt.
Und dazu gesellt sich auch noch das Verlangen von Deutschen, Recht zu haben. Schön ist der Vergleich zum Französischen: es bezieht sich auf die Vernunft (raison). In unserem Sprachraum gilt Recht als richtig. Einen anderen Maßstab gibt es nicht. Und selbst wenn man Zweifel hätte, erfüllt die Befolgung des Rechts einen Selbstzweck.
Diese Denkfiguren sind ein Prägestempel unseres Verhaltens und unserer Lebenseinstellung. Sie offenbaren viel von dem, worin unsere Werte bestehen, unsere Leitbilder sind.
Man möge sie als Menschen-feindlich oder a-sozial beurteilen. Doch hilft diese Verurteilung nicht viel. Denn sie sind nun einmal da. Also heißt es, sie zu vergegenwärtigen und zu kennen. Zumindest kann man manches Verhalten seiner deutschen Mitmenschen besser verstehen.