Endlich hat jemand Evidenz gesammelt, was in Zeitungen gelesen wird. Thema Nr. 1 sind die Todesanzeigen, gefolgt von den Kreuzworträtseln.
Für Bildungsbürger beginnt mit dieser Information wohl der schleichende Untergang des Abendlandes. Doch muss man sich fragen, wie sich reales Zeitung Lesen vollzieht.
So liest doch nur eine kleine Minderheit einen Beitrag von Beginn an bis zum Schluss. Wir Leser skannen die Überschriften, sehen die Illustrationen und Bilder oder lassen uns von irgendwelchen Schlüsselworten leiten, die uns besonders interessieren. Wieweit nur sind wir von dem aufgeschlossenen, in der Breite interessierten und kundigen Leser entfernt?
Schlimmer noch wird es, wenn man sich andere Interessen und Motive anschaut, die zum Zeitung Lesen verführen. Das kann das Rascheln der Zeitung beim Frühstück sein, diese typische Abfolge beim Umblättern großer Blätter, das Ritual des Sonntagsfrühstücks. Als Kind schon argwöhnte ich, dass diese Kaffeehaus-Leser eigentlich nur so taten und schauspielerten.
Der Autokauf bietet uns eine ähnliche Überraschung. Denn bei der Kaufentscheidung spielt unter den 3 Top-Begründungen das Geräusch mit, das die Tür beim Zuschlagen macht.
Wie fehl-rational sind wir doch selbst bei der Zeitungslektüre: denn wir wollen doch auch Bestätigung unserer Weitsicht. Wir möchten uns gar nicht bilden. Wir möchten unsere Bildung nur verfestigen. So lesen wir auch nur, was uns ohnehin interessiert. Und wir lesen die Autoren, die eine bestimmte Aussage versprechen. So gibt es auch scharfe Parteiungen unter den Lesern von Tageszeitungen und Wochenmagazinen: man gehört immer zu einer Familie.
Was ich lese? Ich bin ein Leser der Unentschiedenheit. Ich habe es nichtmals in meinen sonntäglichen Alltag integrieren können, das Wochenendblatt zu konsumieren. Und dann verschiebe ich das Lesen, bis der Stoff nicht mehr aktuell istJ In der Zeitung selbst mag ich die Glossen und die großen Kommentare. Die kleine Schrift ärgert mich, Länge auch. Verunsichert bin ich durch Literatur- und Kunstseiten. Denn fast jeder Beitrag zeugt von einem großartigen Jahrhundertwerk. Wie ein Kind staune ich über die Wissenschafts- und Forschungsnachrichten: denn dort werden Neuigkeiten in Hülle und Fülle angesprochen.
Die etablierte Politik und die Wirtschaft haben die geringste Dichte an Inhalt, der für das eigene Umfeld wichtig ist. Ich fühle mich bei der Lektüre immer wie ein Anwärter auf einen Bachelor-Abschluss.
Doch blicke ich auf die nächst jüngere Generation, so verharren die schon auf der Ebene der Überschriften und ihrer Subtexte. Nur noch die Lektüre eines x online-Dienstes reicht dann für den Tagesablauf. Das Zeitung Lesen wird zur Ausnahme. Womit werden nur zukünftig die Blumenverkäufer ihre Sträuße einpacken?