Es gibt in Deutschland eine Bewegung von Reichsbürgern. Es ist politisch, da die staatliche Autorität abgelehnt wird; es ist sozial, da man eine größere Gruppe von Gleichgesinnten ausbildet; und es ist kulturell, da sich eine Konstruktion von identitätsstiftenden Merkmalen entwickelt hat.
Der Begriff ist erklärungs- oder besser interpretationsbedürftig: denn welches Reich ist überhaupt gemeint? Ist das säkular oder religiös? Wenn es es sich auf ein Kaiserreich bezieht, wieso nennt man sich Bürger und nicht Untertan? Wieso bricht solch eine Bewegung 60 Jahre nach Begründung unseres heutigen Staates auf? Kann es so überhaupt ein Mitglied geben, das ein Reich noch erlebt hat?
Es gibt auch eine Republik der Nudeln, wie von der Berliner Zeitung unter ‚Vermischtes‘ gerne berichtet wird. Die befindet so irgendwo in Brandenburg. Auch gibt es Ritterspiele, die Aufstellung von Schlachten, Gauklerfeste oder Erlebniswochenenden als Indianer. Und weiter ist nicht selten, das Menschen irgendwelche neuen politische Einheiten ausrufen.
Was ist das psychologische Moment dabei? Geht es einfach nur um das Dagegen? Fühlt man sich in der Gegenwart unwohl und sucht sich so einfach nur eine andere Zeit aus? Will man die wirklich leben – unter Akzeptanz der Preisgabe moderner Annehmlichkeiten und Rechte?
Und gibt es auch Ideen, aus der Idee eines Reichs das zu identifizieren, das von Mehrwert für die Gegenwart ist? Das wäre doch zumindest sinnvoll in dem Sinne, dass man das Verhalten erklären kann.
Doch handelt es sich wohl vielmehr um die Flucht in eine gedankliche Illusion. Und das wiederum ist spannend: denn auch Künstler tun das ebenso wie unternehmerische Menschen. Auch Gläubige machen dies. Doch auch Menschen mit Halluzinationen und Wahnvorstellungen tun dies. Es gibt sicherlich bekannte Definitionen für die Abgrenzung der Richtungen. Und dennoch: ohne eine rationalen Erklärung und den Nutzen für das Jetzt sind das eben Spinner.